viernes, 8 de marzo de 2024

Mein Beitrag am 14.02.24 für das Einführungsseminar zum 2024 NLS-New Lacanian School Congress „Klinik des Blicks"

 Berlin, March 2024, posted by Claudio Steinmeyer





Von der Macht des Blicks zum Blick der Macht

Überwachen, strafen, erziehen, diagnostizieren, unterhalten

 (Bentham, Foucault, Lacan, Miller)

(Mein Beitrag am 14.02.24 für das Einführungsseminar zum 2024 NLS-New Lacanian School Congress „Klinik des Blicks“)



Guten Abend,

Es ist erneut eine Freude, dass wir bei LOB in der Lage waren, dieses jährliche Seminar zu gestalten, das wir seit 2016 durchführen, einen Ort des Austauschs über zentrale Themen der Psychoanalyse. Auch eine besondere Anerkennung für die Kolleginnen, die sich um die Umsetzung kümmern, wie die Raummiete, Promotion, Übersetzungen, Zoom und die Technik. Und vielen Dank an das Publikum, das an diesem Valentinstag hier ist. Ich hoffe, Ihnen einen Text bieten zu können, der Liebe auf den ersten Blick weckt."

Es geht darum, die Geschichte des Blicks als Instrument der Macht und Kontrolle zu betrachten.

Lassen wir damit beginnen, das Panoptikum von Jeremy Bentham zu beschreiben.

Wer war J. Bentham? Er war ein englischer Denker, der zwischen 1748 und 1832 lebte. Er wird als der Vater des Utilitarismus bezeichnet. Aus einigen Texten könnte man ihn sogar als sehr progressiv darstellen: Er spricht über Frauenrechte, befasst sich mit Scheidung und schlug sogar die Entkriminalisierung der Homosexualität vor. Er setzte sich gegen Sklaverei und die Bestrafung von Gefangenen und Kindern ein. In dieser Hinsicht scheint er fast ein Sozialist zu sein, was bei Denkern vor Marx recht üblich ist. Aber wenn wir seine grundlegenden Vorschläge bedenken, können wir seine Hauptwerke in den heutigen Begriffen als die beste Ausdrucksform des Neoliberalismus einordnen, in dem alles einen Zweck erfüllen muss und alles einen Wert hat.

In dieser Perspektive half er seinem Bruder, das bestmögliche Gefängnis zu entwerfen, um die Anzahl des benötigten Personals zu reduzieren und gleichzeitig die Kontrolle und Überwachung zu maximieren: So entstand die Idee des Panoptikum-Gebäudes. (1) Mehrere Gefängnisse weltweit ließen sich von diesem Modell inspirieren, einschließlich des hier nahegelegenen in Moabit.

Schauen wir uns nun an, wie Jacques-Alain Miller das Panoptikum in einem seiner frühen Artikel beschreibt, der in der Zeitschrift Ornicar veröffentlicht wurde (2).


Es handelt sich um ein kreisförmiges Gebäude, um Ecken zu vermeiden, in denen sich jemand verstecken könnte. Auf diesem Umfang werden die Stockwerke errichtet, natürlich alle kreisförmig. Das Zentrum des Umfangs bleibt frei, dort erhebt sich der Überwachungsturm. Licht und Luft gelangen durch ein System von Fenstern von außen in das Gebäude. Jalousien ermöglichen es aus dem Turm, jede einzelne Zelle zu sehen. Aber nicht umgekehrt, die Zellen können den Turm nicht sehen. Die Lichtgestaltung erleichtert auch den Gegenlichteffekt, bei dem die Figuren scharf herausragen und auf dem Hintergrund des Lichts deutlich sichtbar werden. Um das Gebäude herum gibt es ein grünes Gelände und dann eine ebenfalls kreisförmige Mauer, die die Einheit von der Außenwelt trennt. Der Hof ist nur von einem einzigen Punkt aus zugänglich.

Diese architektonische Gestaltung wurde nicht nur für Gefängnisse konzipiert; es war auch ein allgemeines Prinzip für Schulen, Asyle, Krankenhäuser und sogar Fabriken.

Die panoptische Konfiguration führt eine grundlegende Asymmetrie auf der Ebene von Sichtbarem/Unsichtbarem ein. Vom zentralen Punkt aus ist fast alles sichtbar, von den Punkten der Umkreisung aus ist sehr wenig sichtbar.

Es gibt weitere Vorteile: Die zentrale Überwachung bedeutet erhebliche Einsparungen beim Sicherheitspersonal und spart Kosten, was die Grundlage jeder liberalen Argumentation ist, auch heute noch. Das Thema "Ressourcenökonomie" ist ein großes Anliegen in Benthams Werk, daher inspiriert der Utilitarismus oft verschiedene neoliberale Strömungen.

Aber nochmals, die große Raffinesse des Panoptikums liegt darin, dass das Auge sieht, ohne selbst gesehen zu werden. Wenn ich den Blick, der mich ausspäht, sehen kann, kann ich ihn berechnen, beherrschen, erscheine genau dann, wenn er erscheint, kenne seine Unterbrechungen und Pausen und kann ihn so überlisten (wie im Film „Papillon“ gezeigt wird). Im Gegensatz dazu, wenn das Auge verborgen ist, beobachtet es mich sogar, wenn es mich nicht sieht, denn ich kann nicht wissen, wann es wirklich da ist, ich kann seinen Blick nicht berechnen!

So erreichen wir, dass für ein Maximum an Überwachten ein Minimum an Überwachungsbeamte ausreicht. Es entsteht eine allsehende, allgegenwärtige Instanz. (An dieser Stelle könnte sich die Frage öffnen, ob dies etwas mit der Omnivoyeur-Funktion zu tun hat, von der Lacan im Seminar XI spricht, was übrigens letztes Jahr in unserem Atelier mit Jérôme Lecaux intensiv bearbeitet haben). Bentham hat so eine Art künstlichen Gott geschaffen (heute würden wir es vielleicht als Big Brother bezeichnen, eine überwachte Gesellschaft im Sinne von George Orwells 1984).

DIE RESTE, ALLES IST WERT: (Im Panoptikum gibt es keine Überreste)

Im Panoptikum ist alles berechenbar, nichts geschieht zufällig, es gibt kein Unbewusstes. Es gibt keine Überreste, jede Ausgabe muss produktiv sein, rentabel. Die Überwachung beginnt bereits lange, bevor der Häftling seine Zelle erreicht. Sie beginnt mit dem Design des Gefängnisses (klar ist es hier ganz anders als mit dem Häftling der drei logischen Zeiten, der mit dem Augenblick des Blicks sogar zählt, um etwas verstehen zu können).

Gefangene, Arme, Verrückte, Kranke, Schüler, Arbeiter (ich füge hinzu, dass heutzutage die weniger erforschte Kategorie der Benutzer, bzw Kunden, hinzugefügt werden könnte) sind anfällig für die Lenkung durch das Panoptikum: Sie haben keine andere Wahl, sie stehen der Macht zur Verfügung. Sie sind dem Imperium des unsichtbaren Auges unterworfen.


Jetzt schauen wir uns an, was Michel Foucault über das Panoptikum sagt. Er war einer der wichtigsten französischen Denker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die goldene Zeit, zusammen mit Lacan, Roland Barthes und Claude Levi-Strauss, u.A., und gehörte dem Strukturalismus an.

In seinem Buch "Überwachen und Strafen" (3) ist Foucault der Erste, der die Überwachungssysteme studiert und homologisiert, deren Massenverbreitung vielleicht mit der Lepra im Mittelalter begann. Dann erweitert er es auf eine ganze Reihe von Institutionen: das Gefängnis, aber auch das Krankenhaus, die psychiatrische Anstalt, die Schule und die Fabrik.

Foucault erwähnt das Detail, dass das Panoptikum auch die seitliche Sichtbarkeit zu anderen Häftlingen verhindert. Es entsteht eine Sammlung getrennter Individualitäten. Er meint auch, dass die Macht ist doch irgendwie sichtbar, aber unüberprüfbar; das bedeutet, wir wissen, wo das Auge ist (der Kontrollturm), aber sein Blick entzieht sich uns, ähnlich wie bei jemandem, der eine Sonnenbrille trägt, was übrigens eine Taktik der Polizei ist.

Das unheimliche Gefühl, das diese Asymmetrie hervorruft, findet sich im Film "2001" von Stanley Kubrick. Entlang des gesamten Raumschiffs hat der Supercomputer HAL "Augen", das heißt Kameras, aber sowohl der Astronaut als auch die Zuschauer wissen nie, wann er sie benutzt, wann er zuschaut.

Das Interessante ist, dass der Gefängnisdirektor letztendlich Teil des Bildes wird, das er überwacht (wie Lacan es im Seminar XI beschreibt, ist das Subjekt der Fleck auf dem Gemälde "Die Botschafter"). Gleichzeitig können die Gebäudeinspektoren den Direktor beurteilen, indem sie einfach sehen, wie das Gefängnis aus der panoptischen Perspektive funktioniert. Und andererseits werden auch die Inspektoren beobachtet... usw.

Man könnte sagen, dass das Panoptikum die beste Metapher für die Kontrolltechnologie im Diensten der Politik und der Macht ist. Es eignet sich ideal, um die Körper der Massen zu kontrollieren. Lacan sagt im Seminar XI, dass das Objekt des Blicks am besten der Kastration entgeht. Wire können ergänzen:  gleichzeitig ist es vielleicht auch das effektivste und kostengünstigste.

Vielleicht rund um das Objekt „Blick“ passen die vier großen Konzepte des 20. Jahrhundert gut zusammen: das Freud'sche Unbewusste, den marxistischen Mehrwert, das Lacansche Objekt-a und die Technik nach Heidegger.

Für den reibungslosen Betrieb des Panoptikums ist keine Tyrannei erforderlich; im Gegenteil, es funktioniert besser in einer Demokratie, weil es dann noch transparenter ist. In einem Interview sagt Foucault, dass das Krankenhaus des 18. Jahrhunderts eine neue Architektur -aufgrund eines NEUEN medizinischen Blicks- eingeführt hat.


Der Blick ist ein kostengünstiges Objekt, wenn er in großem Maßstab angewendet wird. Er erfordert keine große Raffinesse, keine Wartungsstruktur, es werden keine Waffen benötigt. Durch den Blick internalisiert der Häftling ihn und wird sein eigener Wächter.

Aber gleichzeitig wird auch der Wächter überwacht, niemand entkommt der Macht des Blicks. Das Panoptikum ersetzt das Auge Gottes; jeder wird von den anderen überwacht.

Selbst wenn die Gefangenen eines Tages den Turm stürmen würden, um ihn zu übernehmen, würde er weiterhin auf ähnliche Weise funktionieren.

Bis hierhin könnten wir die folgenden Bedingungen entwickeln, um eine menschliche Institution als panoptisch zu definieren:

1) Das Auge muss in der Lage sein, jeden der Überwachten zu sehen.

2) Es muss sehen können, ohne selbst gesehen zu werden.

3) Die Überwachten dürfen nicht wissen, ob das Auge sie sieht.

4) Die Seitenansicht ist geschlossen, um die Kollektivierung zu verhindern. Es gibt keine Masse.

5) Auch der Wächter muss kontrollierbar sein.

6) All dies muss kostengünstig und mit minimalen unproduktiven Resten umsetzbar sein.


Fortsetzend auf etwas, das vor Kurzem hier von einer Kollegin erwähnt wurde: Der Panoptismus erreicht derzeit seine höchste Blüte im Neoliberalismus, denn wir zahlen dafür, dass man uns beobachtet. Es ist fast so, als würden die Insassen dem Wächter im Turm bezahlen, wobei selbst Bentham nicht so weit gegangen ist. Der Blick als Ware. Jeder Klick, jedes "Gefällt mir", jeder Kommentar wird von den sozialen Netzwerken beobachtet, bewertet, algorithmisiert, um uns maßgeschneiderte Werbung entsprechend unseren Vorlieben und sogar politische Nachrichten entsprechend unseren politischen Überzeugungen zu bieten.

Dieser Überblick hilft wahrscheinlich zu verstehen, was Daniel Roy in seinem einführenden Vortrag auf dem Kongress der NLS meint, wenn er sagt:

“Heute ist das Objekt Blick in unserer Tasche, in Form des Handys, …..Für die neuen Generationen ist es einfacher: Es ist in der Hand, untrennbar vom Körper, der mit Grund sagen könnte: Ich bin immer gesehen! “

Dies stimmt mit dem Ansatz des Philosophen Zygmunt Bauman überein, der der Meinung ist, dass wir in einer post-panoptischen Ära leben.

In Anlehnung an Foucault erinnert Zygmunt Bauman in seinem Werk „Flüchtige Moderne“ an das Panoptikum als ein Beispiel für moderne, territoriale Macht. 

Aber in der Postmodernität  „verflüchtigen Überwachten“ und die Macht  hätten sich sich unabhängig von Territorien, bzw physische Räume  gemacht. Mit Hilfe von elektronischen Signalen (Smartphones, Kreditkarten, GPS, soziale Netzwerke, Internet etc.),heutzutage du brauchst kein Turm mehr, sondern einfach ein Sender in der Tasche.

Im postmodernen Panoptikum sind überhaupt keine Wächter mehr notwendig. Darüber hinaus meint Bauman, dass sich diese Starrheit in der Fixierung von Körpern aufgelöst habe. Die neue, auf Informationsverarbeitung basierende Überwachung, impliziert eine ständige Kontrolle, die über geschlossene Überwachungsmodelle hinausgeht.

Und nicht nur der gesellschaftliche Bereich der Delinquenz oder Kriminalität, lasst sich als „post-panoptisch“ im Sinne von Bauman charakterisieren. Wie im Benthams Traum, auch der Alltag ist zunehmend durch elektronische Signale kontrolliert. Heute gibt es überall  Überwachungskameras und Signalen an öffentlichen Plätzen, Geschäften, Krankenhäuser, Schulen und sportliche / artistische Veranstaltungen. Auch die tägliche digitale Arbeit ist oftmals mehr oder weniger elektronisch kontrolliert, überwacht. (6)

Auf der anderen Seite ist das Subjekt nicht mehr schockiert, es ist nicht das Subjekt des Films "The Truman Show" oder der Black Mirror-Episode "Arkangel". Subjekte, die ihr ganzes Leben lang beobachtet und im Fernsehen gezeigt werden, ohne es zu wissen. Das heutige Subjekt ist darüber gewarnt und bewusst, und es scheint, dass es ihm egal ist, solange es das Gefühl hat, Verbraucherrechte zu haben, etwas überhaupt zu entscheiden, und dass der Andere nicht täuscht (glauben dass, das was man liest ,keine fake news sind)

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LITERATUR:


1) https://en.wikipedia.org/wiki/Jeremy_Bentham

2) ORNICAR? BULLETIN PERIODIQUE DU CHAMP FREUDIEN - N°3 -SUR LE MAITRE - JACQUES-ALAIN MILLER :Le despotisme de l'Utile :la machine panoptique de Jeremy Bentham 

ORNICAR ?, 1975

Spanisch: Matemas I , Ed. Manantial Buenos Aires, 1999

3) M. Foucault Vigilar y Castigar -  s XXI editores – 1ra reimpresión - Buenos Aires 2003 (auf Deutsch: Überwachen und strafen – Sührkamp Verlag)


4) MICHEL FOUCAULT “La mirada del poder” Entrevista a MF por Jean-Pierre Barou  / The Eye of Power :A Conversation with Jean Pierre Barou and Michelle Perrot


5) J. Lacan – Seminar XI – Kap VI


6) Z. Bauman - Flüchtige Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003 


FILMOGRAFIE: 

-1984

-Papillon

-2001

- The Truman Show 

- BLACK MIrror . Season 4 






Mein Beitrag am 14.02.24 für das Einführungsseminar zum 2024 NLS-New Lacanian School Congress „Klinik des Blicks"

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